Astrid Lulling in der Revue: «Keine Zeit für einen Mann»
RTL - 29.05.2010, 11:50 - Fir d'lescht aktualiséiert: 28.05.2010, 23:53
Mit fast 81 Jahren noch aktiv Europapolitik betreiben, das schafft längst nicht jeder. Um stets in Topform zu sein, hat Astrid Lulling ein Geheimrezept.
Auteur: Philippe Hammelmann / Fotos: Patrick Galbats, Thierry Martin, Privatarchiv
Revue: Frau Lulling, wie schaffen Sie es, mit fast 81 Jahren noch derart in Form zu sein?
Astrid Lulling: Ich bin nicht verheiratet gewesen und habe auch keine Kinder. Wahrscheinlich altert man daher nicht so schnell. Die Falten kommen aber trotzdem. (lacht)
Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Am Anfang war ich bei der früheren LAV dem Vorgänger des OGBL aktiv. Bis die sozialistische Partei auf die Idee kam, dass sie eine Frau auf ihrer Liste bräuchte. In den 70er Jahren war es noch eher selten, dass Frauen sich politisch engagierten.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Eigentlich nicht. Ich bin sozusagen ein «Workaholic». (lacht erneut) Mein Alltag besteht größtenteils aus Arbeit, die mir natürlich große Freude bereitet. Ich habe mein ganzes Leben lang geschuftet. Sogar an den Wochenenden.
Werden Sie oft darauf angesprochen, dass Sie in Ihrem Alter noch Politik betreiben?
Ja klar, jeder will wissen, was mein Geheimrezept ist. Gut, seit 1984 nehme ich an einem Verjüngungsprogramm teil, das mir unheimlich viel bringt. Im Europaparlament in Straßburg ist jeder sehr nett zu mir. Mit Ausnahme vom grünen Abgeordneten Claude Turmes. In Luxemburg hört man hingegen schon diverse Sprüche. (Anm. d. Red.: Als Astrid Lulling noch Abgeordnete im Luxemburger Parlament war, hat ein politischer Gegner sie mit «domm Geess» beschimpft.)
Sie waren lange in der nationalen Politik engagiert, haben aber nie einen Ministerposten bekommen. Waren Sie nie daran interessiert?
Doch, sehr sogar. Allerdings war ich immer in der falschen Partei. Zudem war ich stets die Jüngste, und die Parteileitungen konnten und wollten keinen jungen Minister an die Macht lassen.
Themenwechsel: Vor einem Jahr hat ein niederländischer Journalist geschrieben, dass in Ihrem Bett ein Minister gestorben wäre. Ist da etwas dran?
Ich kannte weder den Journalisten, der das geschrieben hat, noch wusste ich irgendetwas von dieser Story. Damals sagte jeder zu mir: «Du wëlls eis net soen, wien et war». Die Behauptung des Journalisten war absoluter Schwachsinn.
Sie waren Mitglied verschiedener Parteien. Das kommt in Luxemburg selten vor. Wie kam es eigentlich dazu?
Das stimmt. Aber ich habe nie in meinem Leben die Partei gewechselt. Die Sozialisten haben mich 1971 aus der Partei ausgeschlossen. Was heißt, dass ich die LSAP nicht freiwillig verlassen habe. Anschließend habe ich die Sozialdemokratische Partei gegründet. Doch die SDP hatte leider nicht den erhofften Erfolg. Nach deren Auflösung wusste ich nicht so recht, welcher Partei ich mich anschließen sollte. Am Ende landete ich bei der CSV. Ich möchte aber betonen, dass ich nicht jeden Sonntag zur Kirche gehe. Wie viele meiner Parteikollegen übrigens auch nicht.
Sind Sie eigentlich gläubig?
Religion ist ein heikles Thema. Ich fühle mich nicht als Christ, störe mich hingegen nicht an den «Pafen».
Fühlen Sie sich eher als Europapolitiker oder als Nationalpolitiker?
Die Europapolitik ist wesentlich interessanter als die Nationalpolitik. Ehrlich gesagt war ich es leid, in Luxemburg zu bleiben. Ich wollte mich ein wenig von Luxemburg distanzieren. Etwas Neues erleben.
Sind Straßburg und Brüssel nun zu Ihrer zweiten Heimat geworden?
Absolut, ich bin sicher die Erste in Europa, die seit 1952 an allen Tagungen teilgenommen hat, die im Parlament abgehalten wurden. Ob als Abgeordnete oder auf eigene Initiative, um mich zu informieren. Ich bin also keineswegs bescheiden und behaupte, dass ich einer von vielen Trägern Europas bin.
Kandidieren Sie ein weiteres Mal?
Die nächsten fünf Jahre bleibe ich sicherlich in Straßburg, falls ich diese Jahre überlebe. In der Politik soll man bekanntlich niemals nie sagen. Ob ich nochmals kandidiere, weiß ich jetzt noch nicht. Immerhin bin ich dann 86 Jahre alt.
Wird die EU-Kommissarin Viviane Reding es auch so lange in der Europapolitik aushalten?
Viviane Reding führt ein anderes Leben als ich. Ich mache deshalb keine Prognose. Mit 87 Jahren war Otto von Habsburg der älteste Europaabgeordnete, doch ich weiß nicht, ob ich oder Viviane Reding es so lange schaffen werden.
Was halten Sie von Ihrem Parteifreund Jean-Claude Juncker?
Im Moment möchte ich wirklich nicht in seiner Haut stecken. Die Situation ist sehr schwierig, vor allem mit der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Wollten Sie eigentlich nie eine Familie gründen?
Dafür hatte ich einfach keine Zeit. Aus einer Beziehung wäre in früheren Jahren ebenfalls nichts geworden, weil ich stets mit meiner Arbeit verheiratet war. Schon als Studentin auf der Uni habe ich gejobbt.
Haben Sie denn nie eine Beziehung geführt oder einen Mann gehabt, zu dem Sie sich hingezogen gefühlt haben?
Um ehrlich zu sein: nein. Mir fehlte und fehlt, wie schon oft erwähnt, die Zeit für einen Mann. Diese Entscheidung bereue ich allerdings überhaupt nicht. Die politische Arbeit macht mir wesentlich mehr Spaß als eine Beziehung, die ja auch viel Arbeit erfordert. Ich führe in gewisser Hinsicht eine Beziehung mit dem Parlament. Ich habe dort jede Menge gute Freunde. Das reicht mir, was Männer betrifft.
Die Luxemburger Sprache liegt Ihnen ebenfalls sehr am Herzen. Warum?
Mein Großneffe Jérôme Lulling, der Linguistik studiert hat, setzt sich seit Jahren für die Luxemburger Sprache ein. Unter anderem mit einem Spellchecker. Ich habe ihm bei diesem Projekt unter die Arme gegriffen, und so haben wir zusammen ein Wörterbuch herausgegeben.
Welche Hobbys haben Sie?
Ich gehe leidenschaftlich gern schwimmen. Jedes Jahr mache ich eine Kur in Mondorf, wo ich unter anderem Aquafitness mache. Eine der wenigen Sportarten, die man mit bald 81 Jahren noch ausüben kann. Nach einem Besuch in Mondorf fühle ich mich immer etwas jünger. Ich gehe natürlich auch öfters zu einer Kosmetikerin und versuche meine Englischkenntnisse zu verbessern, vor allem die Fachsprache, und weil im Parlament nur Englisch gesprochen wird.
Man sagt Ihnen nach, dass Sie ab und zu gerne Wein trinken...
Ja, ich trinke manchmal ein Paar Gläser Wein. Ein paar Gläser zu viel kommt aber eher selten vor. Das sagt man mir ja auch nach. Es ist wichtig für die Gesundheit, wenigstens zwei Gläser Wein am Tag zu trinken. Das verringert das Risiko eines Herzinfarkts, Alzheimer und beugt gegen Krebs vor.
Haben Sie geraucht?
Nur als ich jung war. Meine damaligen Freunde und ich haben, wie eigentlich alle, geraucht. Es war in. Ich bin jedoch froh, dass Rauchen nie zum Laster wurde.
Wie bewandert sind Sie in Sachen neue Technologien?
Man muss sich heutzutage permanent informieren, was neu auf dem Markt ist. Mittlerweile habe ich allerdings ein wenig den Durchblick verloren, doch meine drei Assistenten helfen mir ständig, wenn ich einmal nicht weiter weiß. Bei meiner neuen Waschmaschine habe ich indes so meine Probleme. (lacht)
Für die Gleichberechtigung der Frau haben Sie sich stets leidenschaftlich eingesetzt …
Ja, zehn Jahre lang war ich Präsidentin vom Luxemburger Frauenrat, der sich für die Frauenrechte einsetzt. Als Politikerin bin ich der Meinung, dass die Parität zwischen Männern und Frauen in den Parlamenten unbedingt eingehalten werden muss.
Fühlen Sie sich als Luxemburgerin oder vielmehr als Europäerin?
Ich bin beides. Im Herzen bin ich jedoch eine Schifflingerin geblieben. Ich fühle mich sehr zu meiner Geburtsstadt hingezogen. Zudem war ich dort 15 Jahre lang Bürgermeisterin. Obwohl ich die meiste Zeit in Brüssel und Straßburg bin, kehre ich immer wieder gern in meine Heimatstadt zurück. Dort bin ich zu Hause.
BIOGRAFISCHES
• Geboren am 11. Juni 1929 in Schifflingen.
• 1948 machte sie ihr Abitur. Zwischen 1953 und 1955 studierte sie Volkswirtschaftslehre an der Universität Saarbrücken.
• 1949 bis 1963 Sekretärin und Redakteurin beim «Lëtzebuerger Arbechter-Verband».
• 1950 bis 1958 Mitarbeiterin im Verbindungsbüro der Bergarbeiter und Metallarbeiter bei der EGKS in Luxemburg.
• 1963 bis 1971 Vorsitzende der Sozialistischen Frauenvereinigung der Luxemburger Sozialistischen Arbeiterpartei (LSAP).
• 1963 bis 1971 Gewerkschaftssekretärin beim Europäischen Gewerkschaftssekretariat in Brüssel.
• 1965 bis 1989 Mitglied der Abgeordnetenkammer. z 1965 bis 1974 und seit 1989 Mitglied des Europäischen Parlaments.
• 1970 bis 2000 Mitglied des Gemeinderats von Schifflingen.
• 1970 bis 1985 Bürgermeisterin von Schifflingen.
• 1971 bis 1982 Mitglied des Parteivorstands der SDP (Sozial Demokratische Partei).
• 1974 bis 1979 Vorsitzende der PDS-Fraktion in der Abgeordnetenkammer.
• Seit 1984 Mitglied des Nationalkomitees christlichsozialer Frauen.
• 1984 bis 1988 Mitglied des Präsidiums der Abgeordnetenkammer.
• 1974 bis 1982 Mitglied des Beratenden Verbraucher-ausschusses bei der Europäischen Kommission.
• 1989 bis 1999 Präsidentin des Europäischen Zentrums des Internationalen Frauenrates.
• Seit 1990 Präsidentin der Vereinigung luxemburgischer Frauen.
• Unter anderem hat Astrid Lulling noch diverse andere Titel: Kommandeur des Ordens der Italienischen Republik, Großoffizier des Verdienstordens des Großherzogtums Luxemburg, Großoffizier des Ordens der Eichenkrone (Luxemburg), Offizier der Ehrenlegion der französischen Republik.
> Mehr Infos: http://www.astridlulling.com/
http://news.rtl.lu/sonndes/revue/69149.html
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