Dienstag, 24. November 2009

Perspektiven der Landwirtschaft

Perspektiven der Landwirtschaft im Mittelpunkt einer Konferenz in Erpeldingen
Keine Zukunftsängste,aber massenhaft Herausforderungen
www.Journal.lu

24.11.2009
Mit dem nunmehr gestimmten Lissabon-Vertrag wird das Europäische Parlament endgültig zum in jeder Hinsicht mit dem Ministerrat gleichberechtigten Gesetzgeber: das so genannte Mitentscheidungsverfahren wird nämlich zum regulären Gesetzgebungsverfahren. „Das bedeutet aber auch, dass man einen engeren Kontakt zu den EU-Bürgern pflegen muss“, so die EU-Abgeordnete Astrid Lulling, anlässlich der vom Luxemburgischen Informationsbüro des Europaparlaments am vergangenen Samstag organisierten Konferenz zur Zukunft der europäischen Landwirtschaft.

„Man muss einen engeren Kontakt zu den EU-Bürgern pflegen“, so Astrid Lulling (4.v.l.)

Namhafte Experten
Lulling, selbst Mitglied der Parlamentskommission für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, hatte einige namhaften Experten des Agrarwesens für die Informationsveranstaltung gewinnen können, darunter Marco Gaasch, Präsident der Landwirtschaftskammer, Léon Wietor, Direktor der Ackerbauverwaltung, Andreas Schneider, Landwirtschaftsberater der Fraktion der Europäischen Volkspartei und Europäischer Demokraten, Arnaud Petit vom unabhängigen Dachverband der europäischen Landwirte und Genossenschaften COPA-COGECA sowie Pierre Treinen, wissenschaftlicher Berater für Agrarfragen beim landwirtschaftlichen Wirtschaftsdienst des Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und die Entwicklung des ländlichen Raumes.
Ackerbau und Viehzucht in Europa haben eine Zukunft, der Weg zu einer fortschrittlichen Landwirtschaft aber wird ein steiniger werden, so oder so ähnlich ließe sich das Credo der Experten zusammenfassen.
Zukunft mit Hindernissen
Erste wichtige Maßnahmen sind im Laufe der letzten Monate bereits angegangen worden, vor allem auch im Zusammenhang mit der Milchkrise und dem Streik der Milchbauern, und obwohl der kommende Agrarkommissar zwar noch nicht feststünde, so sei man doch zumindest sicher, „dass wir die Frau Fischer Boel los sind“, urteilte die Abgeordnete Lulling über die scheidende dänische EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel. Das Abschaffen der Milchquoten betrachte sie als einen politischen Fehler, an dem man nicht unbedingt festhalten müsse, so Lulling in ihren Worten an die zahlreichen Konferenzteilnehmer. „Letztendlich“, schlussfolgerte die resolute Parlamentarierin, „stünde fest, dass ein Fehlen einer gemeinsamen Agrarpolitik uns weitaus teurer zu stehen käme, als das, was es jetzt kostet!“
Pierre Treinen konzentrierte sich in seiner Ansprache auf die zahlreichen Maßnahmen, die von staatlicher Seite aus in den vergangenen Wochen in die Wege geleitet wurden. Rund 2,5 Millionen Euro sind so bereits an den Milchsektor ausbezahlt worden. Treinen sprach aber auch von den zahlreichen Herausforderungen, die die Landwirtschaftsbranche in nächster Zukunft meistern muss. In erster Linie ist hier die Vorbereitung eines ganzen Berufstandes auf das Auslaufen der Milchquoten zu nennen, oder aber die Sorge Luxemburgs um den Erhalt der Klassifizierung als benachteiligte ländliche Region, um auch weiterhin von Fördergeldern aus den Strukturfonds profitieren zu können. Auch Andreas Schneider nannte die Neuverteilung der Fördergelder für ländliche Räume eine einschneidende Entscheidung für die Landwirtschaft im Großherzogtum. Unter Umständen wird es Luxemburg in diesem Zusammenhang zu Gute kommen, dass im Stichjahr 2013 das Nachbarland Belgien die Ratspräsidentschaft inne haben wird, schließlich droht auch den Belgiern durch die EU-Osterweiterung das Abwandern wichtiger Fördergelder in die neuen Mitgliedsstaaten.
GVO erlauben?
„Ein entscheidendes Problem der europäischen Landwirtschaft wird aber auch die zu erwartende ‚protein deficiency’ sein“, so Schneider weiter. Hierbei handelt es sich um die mangelnde hiesige Produktion an proteinreichen landwirtschaftlichen Gütern, wie dem Sojaanbau. „Die Null-Toleranz Politik gegenüber gentechnisch veränderten Organismen muss gekippt werden“, wagte sich der Landwirtschaftsberater zu urteilen, da ansonsten eine Auslagerung der agroindustriellen Mastbetriebe drohe. Léon Wietor von der ASTA ging stärker auf die sozialen Herausforderungen der Landwirtschaft der Zukunft ein. Wichtig sei und bleibe eine „multifunktionale“ Landwirtschaft, in der die Nachhaltigkeit sowie die Diversität und Regionalität der angebotenen Produkte groß geschrieben werden.
Wichtige Entwicklungen verpasst
Man habe vor allem, im Gegensatz zu China und Indien, in den letzten Jahren den Fehler begangen, den afrikanischen Kontinent sträflich außer Acht zu lassen, und dabei ignoriert, dass sich hier ein riesiger aufstrebender Markt vor der eigenen Haustür auftut.
Die weltweite Nahrungsversorgungssicherheit müsse als weiteres Problem angeführt werden, so Wietor. In diesem Zusammenhang sei es äußerst bedauerlich, dass rezente Untersuchungen zeigen würden, dass zwischen Produktion und Endverbraucher 25% aller Lebensmittel verderben. Hierbei müssen auch die Betriebe in die Pflicht genommen werden. Die Effizienz lasse auch bei Höfen in Luxemburg allzu oft zu wünschen übrig. Das Problem, so war zu vernehmen, sind hierbei die zahlreichen „beratungsresistenten“ Betriebe, die sich modernen landwirtschaftlichen Praktiken verweigern.
Angesichts der unzähligen Herausforderungen, die der Agrarsektor in den nächsten Jahren zusätzlich zu erwarten hat, bleibt nur zu hoffen, dass sich die anwesenden Landwirte die Appelle der Experten zu Herzen nehmen, und alle nur erdenklichen Fördermaßnahmen und Fortbildungsmöglichkeiten nutzen werden, denn die Direktzahlungen der EU und die Zuschüsse vom Staat werden die europäischen Bauern auf Dauer sicher nicht auf dem Weltmarkt bestehen lassen.
› alxS

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