Freitag, 24. April 2009

Regulierung der Ratingagenturen

Regulierung der Ratingagenturen
Europaparlament beschließt mit überwältigender Mehrheit neue Vorschriften
Die Finanzkrise und ihre Auswirkungen haben die politisch Verantwortlichen gezwungen, die Kontrollmechanismen
weltweit zu verschärfen. (FOTO: AFP)
VON JAKUB ADAMOWICZ
(STRASSBURG)

Als schnelle Reaktion auf die Finanzmarkt-
und Wirtschaftskrise
hat die Europäische Union am Donnerstag
innerhalb weniger Monate
neue rechtskräftige Vorschriften
über die Regulierung von Ratingagenturen
auf den Weg gebracht.
Mit 569 gegen 47 Stimmen bei vier
Enthaltungen sprach sich das Europaparlament
für einen Kompromissvorschlag
von Kommission
und Rat aus, der bei der Regulierung
von Ratingagenturen international
ausstrahlen dürfte.
Bisher mussten in der EU operierende
Ratingagenturen lediglich
unverbindlich den Verhaltenskodex
der internationalen Organisation
der Börsenaufsichtsbehörden
IOSCO befolgen. Die am Donnerstag
beschlossene und 20 Tage nach
Veröffentlichung im EU-Amtsblatt
rechtskräftige Verordnung sieht
vor, dass alle in der EU tätigen
Ratingagenturen durch den Ausschuss
der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörden
(CESR) registriert
und kontrolliert werden.
Der französische Berichterstatter
Jean-Paul Gauzès (EVP) sagte
nach der Abstimmung, der Kompromiss
werde der EU international
nicht schaden. „Vielmehr kommen
nun die USA in Zugzwang,
ihre eigene Regulierung von Ratingagenturen
zu vollenden“, so
das Mitglied des EP-Wirtschaftsausschusses.
Astrid Lulling (CSV)
betonte, die Verordnung wahre
den Spielraum für Meinungs- und
Handlungsfreiheit und werde deshalb
die globale Wettbewerbsfähigkeit
der EU nicht beeinträchtigen.
Die neuen Vorschriften zielen
darauf ab, Interessenkonflikte von
Ratingagenturen zu unterbinden,
Transparenz bei der Begründung
einer Bewertung einzuführen,
einen Regulierungs- und Kontrollmechanismus
auf EU-Ebene
zu schaffen und die Aussagekraft
der Bewertungen zu erhöhen.
Bewertungen aus Drittländern
sollen vom CESR auf ihre Qualität
und Substanz hin geprüft werden,
bevor sie in der EU als Entscheidungsgrundlage
für Finanzinvestitionen
verwendet werden
können.
Nach dem am Mittwoch verabschiedeten
endgültigen Richtlinienentwurf
über neue Regelungen
im Versicherungssektor hat
sich die EU damit am Donnerstag
eine zweite verbindliche Maßnahme
als Reaktion auf die Wirtschaftskrise
gegeben. Über neue
Kapitalvorschriften für Banken
soll das EP Anfang Mai abstimmen.
Träume, Krisen und Deals
Daniel Cohn-Bendit zu Gast in Luxemburg
Cohn-Bendit zu Gast bei den Grünen
in Luxemburg. (FOTO: CLAUDE HARTZ)
Luxemburg. Daniel Cohn-Bendit
machte gestern der grünen Basis
im Centre convict Mut. Déi Gréng
wollen, so der Europaabgeordnete
Claude Turmes, einen zweiten
Sitz in Straßburg. Programmatisch
plädierte Cohn-Bendit für einen
„Green New Deal“. Der Fraktionsvorsitzende
der Grünen im Europaparlament
entwickelte dabei
mehrere Träume: zunächst einen
Traum des Rheins. Dieser Versöhnungstraum
sei historisch von den
Gründervätern verwirklicht worden.
Die Osterweiterung habe den
Oder-Traum verwirklicht. Jetzt
seien Bosporus- und Mittelmeer-
Traum dran. Dabei gehe es vor
allem um Dialog der Zivilisationen:
„Wir müssen der Türkei eine
Beitrittsperspektive lassen.“ Der
Alt-68er sprach sich gar für die
„Utopie einer EU-Mitgliedschaft
Israels und der Palästinensergebiete“
aus.
Die globalisierten Probleme
seien nur vernetzt anzugehen.
Nicht zuletzt um eine Krise der
Demokratie zu verhindern wie in
den 30er-Jahren. Die Finanzkrise
sei jedoch „auch eine Chance“ für
einen ökologisch-sozialen Umbau.
Etwa in der Autobranche. Cohn-
Bendit fordert hierfür von der Europäischen
Investitionsbank mit
Absicherung durch die Europäische
Zentralbank eine Billion Euro
über fünf Jahre. Eine weitere Idee
ist eine Art Tobin-Tax auf Handys:
0,1 Prozent bei jedem Anruf für
den „Green New Deal“.
Am Nachmittag traf der Abgeordnete
mit Arbeitern von Villeroy&
Boch zusammen. „Das soziale
Europa gibt es noch nicht“, so
sein Fazit. Der europäische Traum
funktioniere noch nicht. Dies zeigten
auch die nationalen Ansätze
bei der Lösung der Finanzkrise.
Vor allem Kommissionspräsident
José Manuel Barroso kritisierte
der nicht mehr ganz „rote
Dany“ scharf: „Wir wollen Barroso
nicht länger als Kommissionspräsident.“
Nicht zuletzt, weil er für
den Irak-Krieg mobilisiert habe.
Jean-Claude Juncker hingegen sei
„sympa“. Fest halten die Grünen
ferner an einer europäischen Verfassung.
(ari)
Bankgeheimnis
nur bis 2014?
Am späten Donnerstagabend fand im
Europaparlament eine für die unmittelbare
Zukunft des Bankgeheimnisses am
Finanzplatz Luxemburg richtungsweisende
Debatte statt. Trotz Widerstand
aus Luxemburg und Österreich – Astrid
Lulling (CSV) sollte in einer Wortmeldung
die Vorteile des bestehenden
Systems der Quellensteuer und die
Nachteile des Informationsaustausches
hervorheben – dürfte sich das EP heute
für das Auslaufen der Quellensteuer und
die generelle Einführung des Informationsaustauschs
zum 1. Juli 2014 aussprechen.
Die Abstimmung über den Konsultativbericht
findet heute Freitag statt.
Auch wenn der Bericht keine unmittelbaren
rechtlich bindenden Folgen hat,
gibt er dem Rat eine politisch schwerwiegende
Grundlage, der sich für das
Bankgeheimnis einsetzende EU-Staaten
wie Luxemburg und Österreich nicht
vollständig entziehen können. (ja)

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